Er hätte schweigen können und kaum jemand hätte es bemerkt. Er zog es aber vor, nicht zu schweigen und allein dies beweist, dass Bundespräsident Ueli Maurer am internationalen Gedenktag zur Erinnerung an den Holocaust für Aufsehen sorgen wollte. Es ist ihm nicht einfach ein peinlicher Fehler unterlaufen, er platzierte bewusst eine Provokation. Er liess eine Medienmitteilung verbreiten in welcher er die Schweiz dafür lobte, dass sie damals „für viele Bedrohte und Verfolgte zur rettenden Insel“ geworden sei. Das ist zwar richtig und darf ruhig erwähnt werden, aber es ist eben nur die eine Seite der Medaille, die positive. Wer wie Maurer die zweite Seite, die negative, nicht erwähnt, manipuliert bewusst.

Es ist nämlich seit langem erwiesen und spätestens seit den Publikationen der Bergier-Kommission in den 1990er Jahren auch breiteren Bevölkerungskreisen bekannt, dass die Schweiz für tausende von jüdischen Flüchtlingen nicht die rettende Insel war, sondern der abweisende Igel. Sie hat Juden und Jüdinnen den Status von politischen Flüchtlingen erst ab 1944 gewährt, als es längst zu spät war. Sie hat zwei Jahre vorher, als die systematische Vernichtung der Juden in Deutschland begann, die Grenze vollständig abgedichtet und so wissentlich zur Massenvernichtung beigetragen. Das wusste keiner besser als der damalige Bundesrat Eduard von Steiger, der die Abschottung anordnete obwohl ihm alle Beweise inklusive Fotos vorlagen.

Wenn Ueli Maurer diesen Teil der historischen Fakten unterschlägt, bewegt er sich in den Fussstapfen von Steigers. Er deckt das unmenschliche Verhalten seiner Vorgänger im Bundesrat indem er es nicht aufdeckt. Er manipuliert die Schweizer Geschichte, und er tut dies nicht zum ersten Mal. Als Präsident der SVP behauptete er 1997 in einem „Cash“-Interview, man habe den „J“-Stempel eingeführt, um die Juden kenntlich zu machen, damit sie nicht aus der Schweiz ausgewiesen würden. Es war aber genau umgekehrt, der „J“-Stempel war zwar eine Idee der Schweizer Behörden gewesen, aber er wurde von den Deutschen in die Pässe der Juden gedrückt, damit die Schweizer Grenzwacht sofort sah, wen man nicht herein lassen durfte. 
Dieser Teil der Schweizer Geschichte ist unrühmlich, aber er gehört zu uns wie der rühmliche Teil. Wer Geschichte auf Heldentaten reduziert, verzerrt sie, manipuliert sie und hindert das eigene Volk daran, aus der Vergangenheit zu lernen. Wer, wenn nicht der Bundespräsident, müsste da voran gehen?

19. Feb 2013