Zur Neustrukturierung des Asylbereichs und zur Einführung des beschleunigten Verfahrens hat die SP schon vor zwei Jahren Ja gesagt – und damit lange, bevor uns in den letzten Tagen und Wochen diese furchtbaren Bilder in einer entsetzlichen Dichte ereilt haben. Auch wenn jenes Ja zur Vorlage also keineswegs unter dem Eindruck der aktuellen Situation entstanden ist, habe ich irgendwie Hemmungen, jetzt das unfassbare Elend der Flüchtlinge und deren verzweifeltes Hoffen auf einen sicheren Platz in Europa in einen Zusammenhang mit einer politischen Debatte zu bringen.

Denn wer die Not der Flüchtlinge jetzt für politische Voten missbraucht, setzt sich dem Vorwurf des Kalküls aus. Wer aber umgekehrt wegschaut, wer hier im komfortablen Mittel- und Westeuropa nicht zu helfen versucht, macht sich der gröbsten Unmenschlichkeit schuldig.

Eigentlich ist Wegschauen ja gar nicht mehr möglich. Niemand kann sich diesen Bildern von Frauen, Kindern und Männern entziehen, die versuchen, Zäune aus Stacheldraht zu überwinden. Niemand den Bildern von überladenen Booten, auf die Menschen ohne Rücksicht auf die akute Todesgefahr gepfercht werden.

Auch nicht den Bildern von Tausenden von Menschen, die zu Fuss auf einer Autobahn unterwegs sind, nicht zu reden von jenem kleinen Buben aus Syrien, der auf der Flucht ertrank. Noch kaum einmal hat ein Toter seine Pein derart durchdringend in die Welt herausgeschrien wie dieser kleine leblose Körper am Strand von Bodrum. Solche Bilder müssen bei uns zwingend sofort weit mehr auslösen als eine Eintritts-Debatte zu einem politischen Geschäft.

Denn eines muss allen klar sein: Nur mit dieser Vorlage allein ändern wir nichts an den Problemen, welche die grossen Flüchtlingsströme in einigen europäischen Ländern verursachen. Sie ändert auch nichts am Elend der unzähligen Asylsuchenden, die durch Terror und Krieg zur Flucht gezwungen werden. 60 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Der Bruchteil eines Bruchteils dieses Flüchtlingsstroms wird bis Ende Jahr in der Schweiz um Asyl bitten, nämlich 30 000 Menschen. 30‘000 von 60 Millionen - das sind die Dimensionen, die wir uns vor Augen halten müssen.  

Und mit diesem verhältnismässig extrem kleinen Anteil versucht die SVP nach wie vor ungerührt ein Asylchaos in der Schweiz herbeizureden und herbeizuschreiben. Dem kann nicht genug widersprochen werden! Die Zahl der Asylsuchenden in der Schweiz mag derzeit zugenommen haben, und am einen oder andern Ort ist es vermutlich in der Tat schwierig, genügend Unterkünfte bereitzustellen.

Doch deshalb haben wir noch längst kein Chaos, sondern eine Herausforderung, der wir uns mit Kreativität stellen können. Denn die Asylverfahren dauern in der Schweiz lange, teilweise über Gebühr lange. Das führt dazu, dass die Betroffenen viel zu lange um Unwissen sind, ob sie in der Schweiz bleiben dürfen oder ob sie wieder in ihr Herkunftsland zurückgehen müssen.

Die Vorlage, die wir heute den ganzen Tag beraten werden, schafft wenigstens einmal bei diesem Missstand Abhilfe. In den einfachen und klaren Fällen soll das Asylverfahren in Zukunft innerhalb von 100 Tagen bis zum rechtskräftigen Entscheid abgeschlossen sein. Dieses beschleunigte Verfahren wird im Testzentrum in Zürich bereits durchgeführt. Dazu haben wir hier in diesem Rat die gesetzliche Grundlage geschaffen. Die Evaluation hat gezeigt, dass das Verfahren auf diese Weise funktioniert. Da jedoch die Asylverfahren sehr rasch durchgeführt werden, muss den betroffenen Asylsuchenden gleichzeitig eine unentgeltliche Rechtsberatung zur Seite gestellt werden. Nur so ist ein faires Verfahren gewährleistet. Deshalb knüpft unsere Fraktion ihr Ja zu dieser Vorlage an die Umsetzung dieser eigentlich selbstverständlichen Massnahme

Konsequenterweise müsste selbst die SVP diese Vorlage bejahen. Oder wie kann eine Partei, die hier ein Asylchaos auszumachen meint, dort ein beschleunigtes Verfahren bekämpfen, das Klarheit bringen wird? 

 

Fraktionsvotum im Nationalrat anlässlich der Debatte über die Neustrukturierung des Asylbereichs vom 9. September 2015

09. Sep 2015