Im Schatten der Sichtschutzinstallation für den chinesischen Präsidenten spielten sich am Montag bedenkliche Szenen ab: Tibeterinnen und Tibeter, die für Frieden und Dialog demonstrierten, wurden von der Berner Polizei knallhart angegangen. Bei allem Verständnis für Sicherheit, Mentalitätsunterschiede und schweizerische Interessen: Das war unserem Land unwürdig und für die berechtigten tibetischen Anliegen ein Spott.

Die Bilder des Besuches des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping in Bern waren mehr als verstörend. Auf der einen Seite – festlich herausgeputzt – unser Parlament und unsere Bundesräte. Begrüssung und Tischreden von geradezu devoter Hingabe. Vor dem Bundeshaus und auch beim Empfang in Kehrsatz handverlesen lächelnde chinesische Fähnleinschwenker, die zur Begrüssung herzige Liedchen singen. Auf der anderen Seite des Sichtschutzes (welch eine Installation!) massive Absperrungen und Polizei am Boden und in der Luft. Und auf beiden Seiten eine gespenstische Leere. Ziemlich weit weg vom hohlen Geschehen dann einige Tibeterinnen und Tibeter, die lange vor der Ankunft des Präsidenten auf dem Waisenhausplatz friedlich für Dialog und Menschenrechte demonstriert hatten. Und die davon ausgehen mussten, in der Schweiz müsse es auch danach in gebührender Distanz möglich sein, eine Parole zu rufen oder eine Fahne in die Höhe zu halten. Und dann dieses knallharte Eingreifen der Polizei. Ich hüte mich vor allzu pauschaler Kritik an Polizeitaktik. Beim Vorgehen der Berner Polizei musste man sich aber schon fragen, ob wir den chinesischen Gästen demonstrieren wollten, dass unsere Sicherheitskräfte noch rücksichtsloser sein können als ihre eigenen. Bei allem Verständnis für Sicherheit, Mentalitätsunterschiede und schweizerische Interessen: Das war unserem Land unwürdig und für die berechtigten tibetischen Anliegen ein Spott. Man kann sich auch mit Respekt unserer Demokratie, den Grundrechten und der Menschenwürde verpflichtet zeigen – gerade gegenüber Freunden und Freihandelspartnern.

Zur Erinnerung: Seit der Verschärfung der chinesischen Repression in Tibet sind 145 Fälle von Tibeterinnen und Tibetern bekannt, die sich aus Verzweiflung selbst verbrannt haben. Über 2‘000 Menschen befinden sich aus politischen Gründen in Haft und in Zwangsarbeitslagern. Die Zerstörung von wichtigen Teilen der tibetischen/buddhistischen Kultur und die Ausbeutung der Natur schreiten unvermindert voran.

In dieser Situation forderten die tibetischen Organisationen in der Schweiz nichts Weiteres als die Wiederaufnahme des Dialoges mit dem Dalai Lama, den Verzicht auf Folter, die Freilassung der politischen Gefangenen und den freien Zugang für internationale Organisationen zu allen Regionen Tibets. Die Tibeterinnen und Tibetern haben sich trotz ihrer Verzweiflung immer in den Dienst des friedlichen Protests und Dialogs gestellt. Dass die Schweiz den Wunsch nach Freiheit und deren Ausdruck ihren wirtschaftlichen Interessen mit dieser Gewalt unterordnet, ist beschämend.

20. Jan 2017