Votum anlässlich der dringlichen Debatte im Nationalrat vom 20. März 2014 Die Annahme der sogenannten Masseneinwanderungs-Initiative am 9. Februar 2014 stellt eine Zäsur für die Schweiz dar. Das Stimmvolk stimmte zwar "nur" über die Einführung von Kontingenten und eines Schweizer Vorrangs am Arbeitsmarkt ab. Entgegen der Behauptungen der Initianten ist nun aber mit dieser Abstimmung das gesamte bilaterale Vertragsfundament in Gefahr. Uns überrascht das nicht, wir haben im Abstimmungskampf ja auch davor gewarnt. Die drohenden Folgen der Initiative können und dürfen nicht schöngeredet werden.

Klar ist, dass die Schweiz keine Insel ist. Der Wohlstand und die Lebensqualität für die Bewohnerinnen und Bewohner unseres Landes sind vom kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Austausch mit den umliegenden Ländern der EU abhängig. Ebenso abhängig sind wir von den vielen Menschen mit Migrationshintergrund in unserem Land. Wer dies abstreitet und ausblendet, spielt mit den moralischen Grundlagen und dem Wohlstand unseres Landes und streut den Menschen Sand in die Augen. 

Unsere Fraktion hat eine ganze Reihe von Interpellationen deponiert, weil es aus unserer Sicht zwingend nötig ist, dass wir uns der Bedeutung und der Folgen des Votums vom 9. Februar bewusst werden. Die Kenntnis dieser Fakten ist zentral, wenn wir in den kommenden Monaten darum bemüht sein müssen, den wirtschaftlichen und politischen Schaden für unser Land möglichst zu minimieren. 

Folgende vier Punkte sind für die SP im Zentrum: 

  1. Die SP sieht sich in der Verantwortung, als entscheidende und progressive Kraft gegen jegliche Diskriminierung von einzelnen europäischen Zuwanderungsgruppen anzukämpfen. Wir haben die bürgerlichen Rufe in diese Richtung gehört. Arbeitskräfte auf dem Bau, im Gastgewerbe oder in der Landwirtschaft sollen demnach nur noch zeitlich beschränkt und ohne Recht auf Familiennachzug aufgenommen werden, Kaderkräften der Finanz-, Pharma- und Rohstoffbranche stehen weiterhin alle Möglichkeiten offen. Was für den Banker oder die Ingenieurin aus Deutschland gut ist, wird dem Maurer oder der Angestellten im Gastgewerbe aus Portugal verwehrt. Eine Diskriminierung nach Herkunftsland, nach Alter, nach Geschlecht, nach Beruf, nach Lohnniveau, nach Zivilstand oder Ähnlichem ist für die SP absolut inakzeptabel. 
  2. Die SP hat im Abstimmungskampf nicht nur von einer Rückkehr zur Barackenschweiz mit Kontingenten wie zur Zeit der Saisonniers gewarnt. Wir haben auch immer auf den Widerspruch der Initiative zum Personenfreizügigkeitsabkommen hingewiesen. Die SP verlangt deshalb eine Umsetzungslösung, die die bestehenden bilateralen Verträge von 1999 und 2004 sowie deren Weiterentwicklung nicht infrage stellt. Erweist sich diese Quadratur des Kreises als nicht möglich, und davon gehen wir aus, muss das Volk über die Zukunft der Beziehungen zu Europa abstimmen können. 
  3. Die SP verlangt progressive und ökologische Reformschritte in den Bereichen Wohnen, Raumplanung, Steuern, Bildung und Arbeit. Nur so kann abgesichert werden, dass die Früchte der Öffnung und des Wachstums allen zugute kommen. 
  4. Die SP will in Zukunft eine Schweiz, die als mitverantwortliches und solidarisches Land in Europa mitmacht. Bereits seit Längerem zeichnet sich ab, dass das bisherige bilaterale Vertragsgefüge nur mit grundlegenden Reformen weitergeführt werden kann. Eine Lösung der institutionellen Fragen ist zentral, damit die Schweiz wieder von Rechtssicherheit und einer einheitlichen Rechtsauslegung profitieren kann. Damit dies gelingt, müssen ergebnisoffen alle – wirklich alle - europapolitischen Optionen geprüft werden. Darum reicht die SP-Fraktion ein entsprechendes Postulat ein, damit analog zum Integrationsbericht von 1999 in einer vergleichenden Analyse die möglichen Auswirkungen eines EU-Beitritts und der Fortsetzung des Bilateralismus mit oder ohne neue institutionelle Lösung aufgezeigt werden können. 

Ich komme zurück zur Zäsur, die der 9. Februar 2014 ohne Zweifel darstellt. Der 9. Februar ist eine Zäsur, deren Folgen wir heute noch nicht abschätzen können, aber wir müssen alles dafür tun, die Wohlfahrt und die Lebensqualität zu sichern sowie die dazu wichtigen Beziehungen mit Europa weiterzuführen. Hier darf es keine Denkverbote und ideologischen Tabus geben, dafür ist uns die Zukunft unseres Landes zu wichtig. 

27. Mär 2014