Der CEO der Ringier Gruppe, Marc Walder, ist in den letzten Tagen wegen einer Aussage zur Coronaberichterstattung ins Kreuzfeuer geraten. Im Wesentlichen geht es darum, dass eine seiner Aussagen vermuten lässt, dass es eine interne Weisung an die Ringier-Redaktionen gab, die Coronapolitik des Bundesrates zu unterstützen. Die Aussage an sich ist isoliert betrachtet gar nicht so dramatisch (sie war einfach unvorsichtig). Aber der Vorwurf trifft ein reales Problem.

Tatsache ist, wir haben ein echtes Problem mit der fehlenden Distanz einer ganzen Klasse von CEOs, Chefredaktoren und sog. Publizisten zur Macht (das Fehlen der weiblichen Form ist bewusst gewählt). Ringier ist nicht das einzige Medienhaus mit diesem Problem, aber vielleicht das mit dem grössten. Es hat sich in den letzten Jahren eine eigene Klasse von eben CEOs, Chefredaktoren und sog. Publizisten herausgebildet, die man selbst als Parteipräsident nur noch selten antrifft (Schweizer Parteipräsidenten sind zu wenig wichtig).

Deren Leben spielt sich zwischen ihren Büros in den Medienhochhäusern und Kaviarapéros am Paradeplatz, in Paris, Berlin, Locarno und den grossen Konzernzentralen ab. Das prägt die Wahrnehmung. Sie leben von dieser Nähe zur Macht und verwechseln das nach einigen Jahren mit der Realität. Wenn man sich nur noch mit wichtigen und mächtigen Leuten umgibt, hält man sich fälschlicherweise schnell ebenfalls für wichtig und mächtig. Aus dieser Parallelwelt melden sie sich dann meist mit Beiträgen zu Wort, in denen primär die Verteidigung der Lebenswelt der Oberschicht Thema ist.

Alles was die Macht der Oberklassen kritisiert, wird zum persönlichen Gegner: Klimaschützer:innen, Linke – vor allem linke Frauen übrigens – bekommen das dann zu spüren. Sie werden zum Feindbild, weil sie mit so unverschämten Ideen wie «sozialer Gerechtigkeit» den Kaviarfreunden das Geld wegnehmen wollen. Um beim Beispiel Ringier zu bleiben, resultieren dann Elitenbücklingswochenkommentare von Chefredaktor Christian Dorer oder Möchtegern-Welterklärer Frank A. Meyer, die nicht mehr auf das Argument zielen, sondern Hass und Lügen über politische Gegner wie Jolanda Spiess-Hegglin, Tamara Funiciello, Mattea Meyer oder meine Person verbreiten.

Kurz: Ja, das Problem der Nähe zur Macht ist real. Und es hat reale Auswirkungen. Nur, entgegen der Absicht derjenigen, die den Skandal publik gemacht haben (siehe dazu weiter unten), spricht das nicht gegen das Mediengesetz, sondern vielmehr dafür. Weil ich nämlich – und das wird wohl dann mein eigenes Lager etwas überraschen – an dieser Stelle für viele Journalist:innen auch der Blick-Blätter eine Lanze brechen möchte. Entgegen dem generellen Ruf des Blattes in meinen politischen Kreisen gibt es auch da hervorragende Journalist:innen. Sogar einige.

Tatsächlich ist das meine generelle Feststellung: Es gibt in allen Blättern vom Tagi, über die WoZ bis zum Blick, hervorragende Leute und solche, die den Beruf verfehlt haben. Und genau darum geht es beim Mediengesetz am Ende des Tages: die Stellung der guten, ehrlichen, kritischen und von ihrem demokratischen Auftrag überzeugten Journalist:innen zu stärken.

Die Nähe der «Grossen» in den Medienkonzernen zu den Mächtigen und den Konzernzentralen hat auch kommerzielle Gründe. Durch das Wegbrechen der klassischen, breit gestreuten Abo- und Werbefinanzierung ist die Abhängigkeit zu den grossen Geldgebern gestiegen. Genau hier setzt das Mediengesetz an: Es stärkt durch die Stabilisierung der Finanzierung innerhalb der Konzerne die Unabhängigkeit der journalistischen Abteilungen. Das wiederum stärkt die Redaktionen (ja, natürlich auch nur, wenn sie sich dann auch getrauen, sich durchzusetzen – was wünschenswert wäre).

Natürlich kann man einwenden, die Verleger in der Schweiz seien an ihrer Misere selbst schuld, weil sie die Digitalisierung verschlafen und mit Gratisangeboten das eigene Geschäftsmodell sabotiert haben. Das stimmt zweifellos. Sie hätten aber wohl auch bei schlaueren Strategien früher oder später ein Problem mit der Dominanz von Google und Facebook erhalten.

Und ja, sicher wäre es aus linker Sicht wünschenswert, die unabhängigen, neuen, digitalen Projekte noch stärker zu bevorzugen, auch wenn das Gesetz bereits eine gewisse Degression vorsieht (kleine erhalten proportional mehr als grosse). Nur, was ist die Alternative?

Den «Skandal» um den Riniger-CEO hat der rechtskonservative «Nebelspalter» publik gemacht. In den letzten Jahren ist ein ganzer Sumpf solcher rechter Medienprojekte entstanden: Von der Weltwoche über die BaZ, Blochers persönlichem Imperium, bis zum Nebelspalter. Fakt ist: Diese Portale existieren. Und sie werden ihre Propaganda im Auftrag der rechten Oligarchen weiterführen, egal was passiert. Es ist scheinheilig, dass sich jetzt genau jene Portale am meisten echauffieren, bei denen jedermann weiss, dass sie von den Blochers und Tettamantis dieses Landes finanziert werden – Propagandaauftrag inklusive –, dass aber keinerlei Transparenz darüber besteht.

Kurz: Kein Mediengesetz bedeutet nicht, dass die Konzerne und die rechten Blätter untergehen. Kein Mediengesetz bedeutet nur, dass der Journalismus innerhalb der Konzerne weiter geschwächt und für die unabhängigen kleinen und regionalen Medien gar keine Unterstützung ihrer Unabhängigkeit existiert. Zweitere gehen unter. Darum engagieren sich diese rechten Kreise derart vehement gegen das Gesetz. Was die reichen Rechten seit Anbeginn der Zeit fürchten wie der Teufel das Weihwasser ist die Wahrheit und ein Journalismus, der sich darum bemüht.

Die Walders der Schweiz machen im Moment den Fehler, dass sie glauben, die Zivilgesellschaft würde das Mediengesetz unterstützen – wegen ihrer Arbeit. Darum treten sie überall aktiv dafür auf. Aber das Gegenteil ist der Fall: Wir tun es aus Überzeugung, ja, aber nicht wegen, sondern trotz ihnen. Wir tun es für die Journalist:innen und den Journalismus, nicht für die Konzernzentralen.

Ja, wir sollten dem Kompromiss des Mediengesetzes zustimmen. Und gleichzeitig unabhängige Medienprojekte mit Abos und Spenden unterstützen. Eine Liste (und ein gutes Detailargumentarium zur Vorlage) findet ihr beim Verband der unabhängigen Zeitungen «Medien mit Zukunft».

Dieser Text ist zuerst als Blogbeitrag auf dem Facebook-Profil von Cédric Wermuth erschienen.

10. Jan 2022