Im August 2013 nahmen Politiker aus verschiedenen Parteien an einer von Green Cross organisierten Studienreise nach Fukushima teil, um sich vor Ort ein Bild über die Folgen der Katastrophe zu machen. Der Aargauer Nationalrat Max Chopard-Acklin, der 2011 auch schon in Tschernobyl war und Mitglied der Kommission für Umwelt-, Raumplanung- und Energie ist, berichtet nachfolgend.

„Es hat sich etwas verändert in unserem Land seit der Katastrophe in Fukushima." sagt mir unsere japanische Reiseleiterin in der Hotellobby in Tokyo, als ich sie im Anschluss an Fachvorträge zweier Professoren Frage, wie denn das einfache Volk in Japan darüber denke. Zum Beispiel gebe es nun jeden Freitag eine Demo gegen die Atomkraft vor dem Parlamentsgebäude in Tokyo.

Von 50 AKW laufen noch 2 
Japan ist eine Wirtschaftsnation auf hohem technischem Level. Trotzdem kam es am 11. März 2011 in Folge eines Erdbebens zur Atomkatastrophe von Fukushima-Daiichi. Davor lag der Atomstromanteil in der Energieversorgung des Landes bei 30%. Heute laufen von 50 Atomreaktoren nur noch 2. In Japan selber spürt man als Besucher davon nichts. Die Gasimporte nahmen zu und grosse Industriefirmen kompensierten den Wegfall des Atomstroms mit dem Aufbau eigener Stromversorgungsanlagen.

Wirtschaft ohne Atomstrom 
Kürzlich kam es zu einem Regierungswechsel. Die neue Regierung spielt mit dem Gedanken, mehrere der abgestellten AKW`s wieder hochzufahren. Doch dagegen regt sich Widerstand. An einer von uns besuchten Podiumsveranstaltung in Tokyo regte sich Sachbuchautor Takasa Hirose heftig auf. Die letzten zwei Jahre hätten gezeigt, dass die Wirtschaft auch ohne Atomstrom leben könne und die Regierung sei unehrlich in der Informationspolitik über die Folgen der Atomkatastrophe.

Verseuchte Erde in Plastiksäcken 
Wir wollten es genauer wissen und fuhren in die Gegend von Fukushima. Die Anzeige auf meinem Dosimeter stieg bis zur Ankunft in Tomioka, in rund 10 km Distanz zum havarierten AKW, immer höher. Eine Wiederbesiedlung dieses Gebietes kommt deshalb bis auf weiteres nicht in Frage.160`000 Menschen mussten ihre Heimat, ihre Häuser und Wohnungen samt Inventar zurücklassen. Und auch noch weit ausserhalb der Sperrzone gibt es belastete Gebiete mit erhöhten Strahlenwerten in denen die Kinder bis heute nicht draussen spielen dürfen. Denn der Wind hielt sich nicht an die 20km Zone. Über 30`000 Quadratkilometer wurden radioaktiv belastet. Wer es sich leisten kann, zieht da weg. Es ist beelendend zu sehen, dass sich in der Gegend von Fukushima das wiederholt, was bereits nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl geschah: Die lokale Bevölkerung wird entwurzelt und die Behörden kämpfen mit den verheerenden Folgen einer Katastrophe, die so nicht voraussehbar war. Es wird tonnenweise verseuchtes Erdreich abgetragen, in Plastiksäcken abgefüllt und an Strassenrändern in riesigen provisorischen Deponien zwischengelagert. Prof. Satoshi Matsumoto erklärt uns, es sei geplant, diese Säcke in 20m Tiefe im normalen Boden zu vergraben. Das zeigt die Hilflosigkeit der Behörden und welche Erblasten die Katastrophe hinterlässt.

Zeit zu handeln 
Was ich in Tschernobyl und Fukushima gesehen habe beschäftigt mich als Politiker, aber auch als Vater. Es ist Zeit zu handeln: Heute haben wir andere Möglichkeiten als vor 45 Jahren, als die Atomkraftwerke Mühleberg und Beznau gebaut wurden. Wir müssen die Abhängigkeiten und Risiken von Oel, Erdgas und Uran verringern. Es braucht dringend mehr Investitionen in die Energieeffizienz und eine stärkere Nutzung erneuerbare Energien wie Wasser, Wind und Sonne. Lassen wir die Energiewende jetzt konkret werden, das sind wir kommenden Generationen schuldig.

19. Aug 2013