Europa hat also gewählt. Ganz so schlimm wie herbeigeschrieben kam es nicht. Oder zumindest nicht überall. Klar ist: Wie immer waren die Wahlen für das Europaparlament nationale Wahlen – und wie immer waren es Denkzettelwahlen unter mässiger Beachtung. Die Resultate sind so unterschiedlich und bunt wie Europa.

In Deutschland, den Niederlanden und in Italien zeigte sich ein eindrückliches Vertrauen in die überzeugten, verlässlichen Kräfte für Europa. Gerade einmal sieben Prozent für die einzige europakritische «Alternative» in Deutschland, eine Abfuhr für die holländische One-man-show Wilders und ein historischer Triumph des Partito Democratico in Italien sind eigentlich das Bemerkenswerteste der Wahlen von Ende Mai.

Anders in Frankreich und in Grossbritannien: Hier haben innenpolitische Ratlosigkeit, Opportunismus und die wirtschaftliche Situation bedenkliche Haltungen an den Tag gelegt. Auch wer protestiert, nimmt Vieles in Kauf, was über die Bedeutung dieser Wahlen, die charmante Läuterung von Marine Le Pen oder die Orientierungslosigkeit der britischen Tories hinausgeht. Wer sich hierzulande darüber irgendwie heimlich oder gar lautstark mitfreut, dem ist Folgendes vorzuhalten: Erstens gibt es auch nach den schwierigen Krisenjahren nach wie vor eine riesige Mehrheit in Europa, die hinter der europäischen Integration steht. In der Schweiz wird gerne verbreitet, dass das ganz anders sei – gerade Deutschland und Italien zeigen das eindrückliche Gegenteil. Jede Kritik an Europa aus dem unübersichtlichen Haufen von Populisten, Rechtsextremen und Juxpolitikern hilft ganz sicher nicht der Verhandlungsposition der Schweiz gegenüber der EU. Im Gegenteil: Es mag sein, dass sich die abgestraften Regierungen in Frankreich oder Grossbritannien innenpolitisch nationalistischer gebärden. Das hat allerdings noch nie geholfen. Im besten Fall mag es sein, dass sich namentlich Frankreich oder die südeuropäischen Länder stärker gegen den Sparwahn der Troika auf dem Buckel der breiten Bevölkerung wehren. Das kann uns aus linker Sicht nur recht sein.

Sicher aber wird eine so provozierte Europäische Union umso mehr auf die innere Konsolidierung pochen müssen. Also erst recht keine Sonderlösungen für Drittstaaten wie die Schweiz. Nationalisten streiten für die Interessen ihrer Nation. Das Schicksal der Schweiz ist das allerletzte Anliegen der europäischen Populisten. Für die Schweiz wie für ganz Europa gilt frei nach François Mitterand: Die Flucht in den Nationalismus ist der Pfad des Krieges. Den einzuschlagen ist Europa glücklich weit entfernt.

06. Jun 2014