Rede zum 1. Mai 2014 in Bazenheid (SG)

Liebe Genossinnen und Genossen,
Liebe Anwesende

Die Schweiz – ein reiches Land trotz Bankencrash

Die Schweiz ist eines der reichsten Länder der Welt. Wir haben die Wirtschaftskrise seit dem Börsencrash 2008, den die Schweizer Banken massgeblich mit verursacht haben, gut überstanden. Es herrscht fast Vollbeschäftigung, ja es herrscht sogar Arbeitskräftemangel. Ohne die Einwanderung ausländischer Arbeitskräfte blieben viele Arbeiten unerledigt. Die Schweiz ist ein demokratisches Land und seit je bürgerlich dominiert. Deshalb ist die neoliberale Grundhaltung allgegenwärtig.

Deshalb ist der 1. Mai ein wichtiger Tag für die SP und die Gewerkschaften, denn hier werden die Positionen für die Forderungen für eine soziale Schweiz formuliert und bekannt gemacht.  

Mindestlohn hilft allen – und den Frauen

In der reichen Schweiz verdienen 330‘000 Personen weniger als 4000 Franken pro Monat für eine Vollzeitstelle. Das ist jede zehnte arbeitende Person. Die Branchen der Tieflöhne sind bekannt: Gastgewerbe, Detailhandel, Landwirtschaft, persönliche Dienstleistungen. Zwei von drei Tieflohnempfängern sind Frauen. Es gibt keinen Fortschritt bei der Bekämpfung der Lohndiskriminierung, obwohl das ein klarer Verstoss gegen die Verfassung ist. Der Lohnunterschied beträgt bereits 19 Prozent, bei Frauen in höheren Positionen gar 25 Prozent, Tendenz steigend.

Gemäss Arbeitgeberdirektor Müller sind die Frauen selber Schuld an diesem Zustand: Sie sind weniger bereit, höhere Anstrengungen auf sich zu nehmen, beispielsweise auch Überstunden weit über 8 Stunden hinaus zu leisten. Herr Müller hat sich in seiner Arroganz nicht überlegt, dass die Frauen vielleicht auch zu Hause noch Arbeiten übernehmen, zum Beispiel in der Kinderbetreuung. Ähnlich peinlich die Aussage von Gewerbeverbandspräsident Bigler: Frauenlöhne sind oft nur „Zusatzverdienste“, sie müssen nicht reichen, um damit den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Diese herablassenden, frauenverachtenden Statements verlangen eines: Es ist Zeit, dass die Lohndiskriminierung der Frauen wieder heftig diskutiert wird. Der erste Schritt ist die Einführung eines Mindestlohns am 18. Mai für alle. Auf einen Schlag erhalten 220‘000 Frauen (und 110‘000 Männer) einen besseren Lohn.

Mindestlohn hilft allen – auch den Ausländerinnen und Ausländern

Erschreckend sind die erst diese Woche publizierten Zahlen des Bundesamts für Statistik: Die Lohnschere geht weiter auseinander! Während in den letzten 2 Jahren die Löhne für die Topverdiener wiederum um 7 Prozent stiegen, sind sie für die untersten Einkommen gefallen!

Neben den Frauen sind Ausländerinnen und Ausländer besonders häufig von Tieflöhnen betroffen. Es ist beschämend, wenn man die Realitäten hört, zum Beispiel von einem Portugiesen, der in der Küche des Restaurants auf dem Kleinen Matterhorn 6 mal 10 Stunden pro Woche in einer Küche ohne Fenster schuftet und dafür 3600 Franken bekommt, während sich im Restaurant die Schönen und Reichen ein 5-Gang-Menu genehmigen. Die korrekte Bezahlung der Arbeitskräfte würde hier, wo die Sonnenbrille auf dem gebräunten Gesicht mehr kostet, als der Küchenmitarbeiter in einer Woche verdient, niemand merken.

Erschreckend sind auch die Resultate im Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats: 60 Prozent der EU-Bürgerinnen und EU-Bürger, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, haben zwar einen Job, der Lohn reicht aber nicht zum Leben. Sie gehören zu den „Working Poor“. Die öffentliche Hand muss über Beihilfen und Sozialhilfe die Dumpinglöhne aufbessern und so die Gewinne der unsozialen Arbeitgeber subventionieren. Das ist inakzeptabel. Selbst die GPK hat erkannt, dass etwas getan werden muss. Sie „empfiehlt“ dem Bundesrat, diese unwürdige Situation zu beheben und Massnahmen einzuleiten, damit mit den bezahlten Löhnen der Lebensunterhalt bestritten werden kann. Nur: Mit einfachen Empfehlungen ist noch nie etwas passiert. Es braucht Taten, es braucht ein JA zur Mindestlohninitiative.

Mindestlohn ist verkraftbar

Viele Unternehmen behaupten, dass es ohne diese Dumpinglöhne nicht geht. Es gibt aber genügend Beweise, dass es funktioniert: In allen Tieflohnbranchen finden sich Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die den Angestellten faire Löhne zahlen, mit denen der Lebensunterhalt bestritten werden kann. Das hat auch eine ökonomische Wichtigkeit und davon profitieren auch die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, die nicht mehr die Gewinne der unsozialen Arbeitgeber subventionieren müssen, die ihre Leute so schlecht bezahlen. Mit Hungerlöhnen muss endlich Schluss sein! Ein Mindestlohn von 4000 Franken schützt am besten vor Lohndumping und die fairen Unternehmer vor der Billigkonkurrenz.

Ungleiche Verteilung von Lohn und Vermögen

Die ungleiche Verteilung der Löhne setzt sich bei der ungleichen Verteilung der Vermögen fort. In der Schweiz ist auch das Vermögen enorm konzentriert auf wenige. Ein Prozent der Bevölkerung besitzt so viel Vermögen wie alle anderen 99 Prozent. Dieses Jahr kommt die nationale Erbschaftssteuer in die Beratung der Räte. Dieses Projekt der Linken verlangt, dass hohe Vermögen von über 2 Millionen mit einem Satz von 20 Prozent besteuert werden. Das tut niemandem weh, bringt aber geschätzte 3 Milliarden Franken Einnahmen pro Jahr. Zwei Drittel davon werden direkt an die AHV gehen. Natürlich ist die Vorlage von der bürgerlichen Parteivertretern bereits jetzt heftig umstritten, obwohl ja auch sie nicht alle Bonzen sind. Um dieses System zu verstehen, greife ich auf ein Zitat von Jean-Jacques Rousseau zurück: «Das Geld, das man besitzt, ist das Mittel zur Freiheit, dasjenige, dem man nachjagt, das Mittel zur Knechtschaft.»

Indem ein Grossteil der Bevölkerung damit beschäftigt ist, sich den Lebensunterhalt zu verdienen, behält man die Menschen in Knechtschaft, modern ausgedrückt in Abhängigkeit.

Privilegien für das Grosskapital

Eines ist klar: Das Grosskapital unter Führung der Economiesuisse hat in Bundesbern immer noch einen grossen Einfluss. Das bürgerliche Establishment bringt praktisch in jeder Session neue Privilegien für die Reichen und die Unternehmen durch.

Letztes Jahr lehnte die bürgerliche Mehrheit im Nationalrat es ab, die unglaublichen Steuerausfälle der Unternehmenssteuerreform ll teilweise zu kompensieren. Dieses Jahr wurde bereits der Auftrag zur Abschaffung der Stempelsteuer gegeben, die Steuerprivilegien der Expats sollen nicht angetastet werden, die Steuerabzüge der Säule 3a sollen massiv erhöht werden. Mit welchen Ausfällen bei der Unternehmenssteuerreform lll zu rechnen ist, kann noch nicht beziffert werden. So wird ohne Not auf bestehende und neue Einnahmen verzichtet. 

Die Sparpakete

Das hat System. Auf das entstandene Einnahmeloch reagiert die neoliberale Politik immer gleich: Es wird ein Sparpaket geschnürt, beim Bund, bei den Kantonen, bei den Gemeinden.

Das bedeutet schlechtere Arbeitsbedingungen für das Staatspersonal, schlechteren Service Public, Abbau von Leistungen bei Bildung, Kultur, Umwelt sowie Gesundheit und sozialer Wohlfahrt. Unliebsame Gesetze werden per Personalbeschränkung einfach gebodigt. Angriffe auf Institutionen des Service public werden vorgenommen, so zum Beispiel die Attacke auf die Spitalstrategie des Kantons St. Gallen oder die Privatisierung der Verkehrsbetriebe in der Stadt St. Gallen. Diese Vorgehen haben nur ein ideologisches Ziel: Den Staat abbauen. Wo Gewinne erzielt werden können, sollen die Privaten das tun.

Nach dem 9. Februar 2014

Keine politische Rede kommt heute um die Abstimmung vom 9. Februar 2014 herum. Dieses Datum bedeutet eine Zäsur in der Europa- und Migrationspolitik der Schweiz. Die schweizerische Stimmbevölkerung hat sich für eine Beschränkung der Einwanderung ausgesprochen, im Wissen, dass der heutige Wohlstand der Schweiz nur mit der Mithilfe der ausländischen Arbeitskräfte erworben werden konnte. Der wohl meist zitierte Satz in den letzten Wochen ist der von Max Frisch: „Man hat Arbeitskräfte gerufen und es kommen Menschen.“ Mit dem neuen Verfassungsartikel muss der Bundesrat nun eine neue Formel finden, wie er das weiterhin bestehende Bedürfnis nach Arbeitskräften und die menschenwürdige Behandlung der Ausländerinnen und Ausländer zusammenbringen will. Für die Linke ist klar: Es gibt kein unwürdiges Saisonnierstatut und der Familiennachzug muss gewährleistet werden. Jeder Mensch hat das Recht, dort wo er arbeitet, mit seiner Familie zu leben. Was für uns gilt, gilt für jede und jeden anderen auch. Es gibt keine Menschen 2. Klasse!

Die Bearbeitung des Dossiers der Personenfreizügigkeit wird schwierig werden, denn diese gehört zum Grundrecht in der EU: Die Freiheit zu reisen, sich niederzulassen und zu arbeiten, wo man will. Die Verknüpfung vieler verschiedener Dossiers macht die Sache nicht einfacher. Für uns Linke ist klar: Durch die Entscheidung vom 9. Februar darf es zu keiner Isolation der Schweiz kommen. Wir müssen jetzt die Zusammenarbeit mit der EU verstärkt suchen und der Bundesrat muss alle Optionen offen darlegen, die die Schweiz in Bezug auf die Beziehungen zur EU hat. Es braucht eine Analyse mit den Vor- und Nachteilen aller möglichen Wege. Bei einer allfälligen Neuausrichtung braucht es eine neue Volksabstimmung, um den gewählten Weg von der Bevölkerung bestätigen zu lassen. Es ist nicht die SVP, die den neuen Weg der Schweiz diktiert.

Eine soziale Schweiz gibt es nur in einem sozialen Europa

Eine soziale Schweiz gibt es nur in einem sozialen Europa. Die SP und Gewerkschaften unterstützen derzeit den Wahlkampf der europäischen Linken für das EU-Parlament. Das Parlament wird vom 23. bis zum 25. Mai neu gewählt. Wir rufen alle EU-Bürgerinnen und EU-Bürger in der Schweiz sowie alle Doppelbürgerinnen und Doppelbürger auf, sich an den Wahlen zu beteiligen und linke Vertreterinnen und Vertreter zu wählen und weiter zu empfehlen. Denn Hand aufs Herz: In Europa läuft es nicht überall rund. In vielen Ländern leiden die Menschen unter einer restriktiven Sparwut, drastischen Kürzungen der Löhne und Sozialzulagen, Privatisierungen und der Plünderung des Staates - den Folgen eines neoliberalen Wirtschaftssystems. Deshalb muss die Linke in Europa zulegen. Es wird nicht einfach, denn nationalistische Gruppierungen sind überall im Aufwind. Für die Schweiz liegt die Zukunft in einem sozialen Europa.

Überflüssige Kampfjets

Trotz all der Sparmassnahmen stimmen wir am 18. Mai über die 3 Milliarden schweren Kampfjet von Ueli Maurer ab: 22 Gripen sollen die Schweiz sicherer machen. Kaum ein Geschäft war je mit so vielen Pannen, Indiskretionen, Beschnüffelung, Einflussnahme behaftet, wie die Beschaffung des Gripen. Über die Folgekosten wird gerne geschwiegen, dass wir auch nach der Ausmusterung von 54 Tiger immer noch 32 F-A/18 haben, die erst gerade für 400 Millionen aufgerüstet worden sind, wird kaum gesprochen. Es gibt kein einziges Bedrohungspotential von Ueli Maurer, das mit dem Gripen bekämpft werden könnte. Gemäss Armeechef Blattmann ist ohnehin ein Stromausfall das naheliegende Bedrohungsszenario. Da wäre aber die Förderung der dezentralen Stromerzeugung ein viel effizientes Vorgehen als ein Kampfjet. Die Ablehnung dieser Flugzeuge ist die einfachste Sparmassnahme.

Kämpfen für die sozialen Fortschritte

Gegen die bürgerliche Mehrheit müssen wir die sozialen Errungenschaften immer wieder verteidigen und für Fortschritte kämpfen:

  • Für unsere Beziehung zu Europa - als friedensförderndes und soziales Projekt
  • Für die Sicherung der Renten, die Durchsetzung von Mindestlöhnen - beide sollen zum Leben in Würde verhelfen
  • Für eine Weissgeldstrategie - die Steuerflüchtlinge und Rohstoffbarone gleichermassen umfasst,
  • Für einen anständigen Umgang mit Minderheiten und gegen die Tragödie an den Grenzen Europas.

Wir wollen eine soziale Schweiz in einem sozialen Europa!

01. Mai 2014