Auf Schweizer Gebiet gelten Schweizer Gesetze und Schweizer Löhne. Von besonderer Bedeutung ist das bei der Personenfreizügigkeit, die für unsere Region so wichtig ist. Die Schweizer Bevölkerung hat diese Freizügigkeit angenommen, weil die Politik versprochen hat, mit flankierenden Massnahmen illegale Lohndrückerei zu verhindern: Bei uns sollen für alle die gleichen Regeln gelten.
Ohne Solidarhaftung …
Bei den Kontrollen zeigte sich aber bald, dass es auf vielen Baustellen in der Schweiz Missbräuche gibt. Missbräuche, die seit der EU-Osterweiterung noch zugenommen haben. Die Messe Basel ist dabei beileibe kein Einzelfall. Bei jeder fünften Kontrolle wurden 2011 Missbräuche festgestellt. Deshalb haben fast alle Kantone und die Mehrheit der Branchen- und Arbeitnehmerverbände griffige Massnahmen verlangt. Die zwei wichtigsten sind die Bekämpfung der Scheinselbständigkeit und die Solidarhaftung für General- oder Erstunternehmer. Dass Lehmann und sein Baumeisterverband als Vertretung der Generalunternehmer das nicht schätzen, ist ja klar.
… werden Schweizer KMUs ausgebootet.
Ganz anders sehen das die Vertreter der Maler, Gipser, Sanitärinstallateure, der Plattenleger, der Elektroinstallateure, der Schreiner und so weiter – also die kleinen und mittleren Schweizer Gewerbebetriebe und KMU. Einige haben mir und anderen Ständeräten geschildert, wie sie mit unlauteren Methoden ausgebootet werden: Der in- oder ausländische Erstunternehmer, in der Regel der billigste, erhält den Zuschlag. Und das, obwohl er weder die Infrastruktur noch das Personal hat, um den Auftrag auszuführen. Er gibt dann den Auftrag weiter an einen oder mehrere Subunternehmer und behält einen Teil der Werklohns für sich. Einzelne Subunternehmer geben ihren Auftrag wieder weiter an einen Sub-Subunternehmer und behalten – ohne echte Leistung – einen weiteren Teil des Werklohnes für sich. Am Ende der Kette stehen dann meist ausländische Subunternehmer, die nur noch kostendeckend arbeiten können, wenn sie ausländische Arbeitnehmer zu gesetzeswidrig tiefen Löhnen anheuern. Der niedrigste bei Kontrollen bis jetzt entdeckte Stundenlohn lag bei 3.15 Euro – in der Schweiz!
Viele Schweizer Gewerbler fühlen sich deshalb zu Recht im Stich gelassen. Die anständigen Schweizer KMU und ihre Mitarbeitenden sind die eigentlich Geprellten in diesem Kettensystem. Nebenbei sinkt erst noch die Arbeitsqualität.
Die Lösung ist moderat, …
Die vom Ständerat verabschiedete Solidarhaftung bietet hier Abhilfe. Sie beschränkt sich auf das Bauhaupt und -nebengewerbe, weil dort die Probleme am grössten sind. Sie erfasst in- und ausländische Betriebe, weil für alle gleich lange Spiesse gelten sollen. Und sie bietet erst noch eine Befreiung von der Haftung, wenn der Erstunternehmer nachweisbar darlegen kann, dass er seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen ist. Eine Kettenhaftung ist das nicht. Daniel Lehmann täuscht sich übrigens noch an einer weiteren Stelle: Die Solidarhaftung ist kein Novum. Das Obligationenrecht kennt sie längst bei Unternehmern, nämlich in Form der Geschäftsherrenhaftung (Art. 55).
Der bürokratische Aufwand dürfte sich ebenfalls in Grenzen halten: Die Branchenverbände kennen die jeweiligen Mindestlöhne sehr gut. Sie haben sie ja mit ihren Sozialpartnern selbst ausgehandelt.
Wer diese moderate Lösung «zum Meilenstein auf dem Weg zur allmählichen Abschaffung der freiheitlichen Wirtschaft schweizerischer Prägung» ausruft, muss ein gröberes Problem mit dieser schweizerischen Prägung haben, nach der alle vor dem Recht gleich sind und das Recht von allen einzuhalten ist.
… gut für KMU und Gewerbe …
KMU, Gewerbe und Arbeitnehmer/innen haben in diesem Fall die gleichen Interessen. Das ist auch der Grund, warum der Ständerat entgegen dem Mehrheitsvorschlag seiner Kommission der Solidarhaftung zugestimmt hat. Als nämlich die Gewerbetreibenden vom Entscheid der Kommission erfahren haben, ist ihnen der Kragen geplatzt. Sie haben in diversen Kantonen ihre bürgerlichen Ständeräte zur Brust genommen und ihnen live berichtet, wie sie von Generalunternehmen unter Druck gesetzt und nicht berücksichtigt werden, wenn sie in ihren Offerten die Schweizer Mindestlöhne einhalten. Das hat gewirkt.
KMU und Gewerbe sind das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft. Sie bieten Hundertausende von Arbeitsplätzen. Diese zu verteidigen – darum geht es. Und zwar nicht nur in Sonntagspredigten, sondern auch am Werktag.
… und die Personenfreizügigkeit
In nicht allzu ferner Zukunft wird die Personenfreizügigkeit wieder vom Volk bestätigt werden müssen. Dann, wenn Kroatien in die EU aufgenommen wird. Wenn die Politik jetzt nicht ihr Versprechen hält, die Schweizer Löhne zu verteidigen, dann bin ich nicht sicher, ob die Abstimmung gut ausgeht.
Quelle: Basler Zeitung