Die CVP hat vor gut einer Woche eine Initiative eingereicht, mit der sie die sogenannte Heiratsstrafe abschaffen will. Das Thema gibt zu reden, weil es eine schreiende Ungerechtigkeit zu thematisieren scheint. Gemäss geltendem AHV-Gesetz erhalten verheiratete Paare nämlich zusammen höchstens eine Rente, die 150 Prozent der Maximalrente betrifft. Konkubinatspaare hingegen erhalten je eine volle Rente, das heisst gemeinsam 200 Prozent der Maximalrente. Da stellt sich eigentlich nur die Frage, weshalb sich nicht einfach alle Paare mit 65 scheiden lassen.

Die Kritik an der „Heiratsstrafe“ ist alt. Das Parlament hat sich schon mehrfach mit dem Thema auseinandergesetzt. Das letzte Mal vor rund vier Jahren, als die Abschaffung durch eine Standesinitiative des Kantons Aargau gefordert wurde. Der Vorstoss überlebte nicht lange. Bereits in der ständerätlichen Kommission wurde er einstimmig – inklusive der Stimmen der CVP-Vertreter – abgelehnt. Wieso?

Was auf den ersten Blick einfach scheint, ist beim näheren Hinsehen ziemlich kompliziert. Zwar stimmt, dass verheiratete Paare gegenüber Konkubinatspaaren in der Frage der Rentenhöhe benachteiligt sind. Doch sind letztere in vielen anderen Bereichen im Nachteil. Eine kleine Übersicht:

  1. Beitragspflicht: Wenn von einem Paar nur eine Person erwerbstätig ist, muss die andere Person keine Sozialversicherungsbeiträge zahlen, falls sie mit der erwerbstätigen Person verheiratet ist. Nichtverheiratete hingegen zahlen ihre AHV/IV/EO-Beiträge selber. Damit werden die verheirateten Paare um rund 300 Mio. Franken entlastet.
  2. Splitting: Bei verheirateten Paaren wird das Einkommen zusammengezählt und dann zu gleichen Teilen auf die beiden Eheleute verteilt. Damit fahren insbesondere Ehefrauen besser, die nicht ihr Leben lang einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sind. Bei nichtverheirateten Paaren gibt es dieses Splitting nicht. Es gelten einzig die selber einbezahlten Beiträge und die individuellen Beitragsjahre.
  3. Witwen-/Witwerrente: Wenn bei Ehepaaren der Partner oder die Partnerin stirbt, erhält die überlebende Person eine Witwen oder eine Witwerrente. Jährlich werden den hinterlassenen Eheleuten rund 1,4 Mrd. Franken ausbezahlt. Bei nicht verheirateten Paaren gibt es keine solchen Leistungen im Todesfall.
  4. Verwitwetenzuschlag: Verwitwete Eheleute erhalten zusätzlich einen Verwitwetenzuschlag. Rund 1,2 Mrd. Franken werden so ausbezahlt. Nichtverheiratete Hinterlassene erhalten keine solchen Leistungen.
  5. Betreuungsgutschriften: Verheiratete Paare erhalten Betreuungsgutschriften und damit höhere Renten, wenn sie ihre Ehepartner pflegen. Nichtverheiratete Paare erhalten keine Betreuungsgutsschriften.

Der Benachteiligung „Heiratsstrafe“ stehen also handfeste Bevorzugungen gegenüber. Das mag der Grund sein, weshalb die Gerichte nicht mit scheidungswilligen Rentnerinnen und Rentnern überrannt werden. 

Wollte man die Heiratsstrafe abschaffen, müsste die AHV jährlich rund 2 Mrd. mehr Rente an Ehepaare ausrichten. Wollte man die Benachteiligungen der Konkubinatspaare gleichzeitig beheben, käme nochmals ein erklecklicher Betrag zusammen. Da stellt sich zusätzlich die Frage, ob wir tatsächlich die AHV in diesem Mass ausbauen wollen.

Wir müssen uns entscheiden: Entweder stellen wir alle Lebensformen gleich und schaffen sowohl die Heiratsstrafe als auch die Benachteiligungen der Konkubinatspaare ab. Oder wir behalten das heutige System im Sinne eines Gleichgewichts der Bevorzugungen, resp. Benachteiligungen.

13. Nov 2012