Das CO2-Gesetz wird heiss diskutiert. Im Interview erklärt Bundesrätin Simonetta Sommaruga die Grundzüge dieser wichtigen Vorlage und räumt mit falschen Behauptungen der Gegner:innen auf.

Bis 2020 hätte die Schweiz 20 Prozent der Treibhausemissionen einsparen sollen, geschafft haben wir bloss 14. Bis 2030 sollen nun 50 Prozent eingespart werden. Ist das nicht illusorisch?

Überhaupt nicht. Genau deshalb engagiere ich mich für das Gesetz. Wir brauchen es, damit wir bis ins Jahr 2030 unseren CO2-Ausstoss mindestens halbieren. Wir entscheiden jetzt darüber, wie unser Land im Jahr 2030 aussehen wird. Und vor allem tun wir es so, dass es nicht nur dem Klima, sondern auch der Bevölkerung dient.

Wir stecken in einer tiefen Wirtschaftskrise. Woher soll das Geld kommen?

Wir haben in den letzten zehn Jahren für den Import von Öl und Gas 80 Milliarden Franken an die Ölkonzerne im Ausland bezahlt. Ich möchte, dass dieses Geld in der Schweiz bleibt und wir bei uns in Arbeitsplätze mit Zukunft investieren. Erdöl, Kohle und Gas sind am Ende. Jetzt müssen wir die Weichen richtig stellen. Mit dem neuen Gesetz investieren wir in Infrastrukturen und in den Service public. Das Gesetz unterstützt zum Beispiel die Anschaffung von Elektrobussen im ÖV oder den Bau von Fernwärmenetzen durch Städte und Gemeinden.

Können wir uns das CO2-Gesetz leisten?

Ja. Wenn wir nichts fürs Klima tun, kostet das noch viel mehr. Zudem schaffen wir mit dem Gesetz Arbeitsplätze bei uns. Davon profitieren zum Beispiel Sanitär-, Heizungs- und Elektrotechniker, der Cleantechsektor oder die Baubranche.  Kaum ein anderes Umweltschutzgesetz wurde je so breit von der Wirtschaft mitgetragen. Dass die Erdöllobby dagegen ankämpft, ist keine Überraschung.

Trotzdem: Wer wird die Rechnung bezahlen?

Wer aus Klimasicht auf grossem Fuss lebt, bezahlt mit dem Gesetz drauf. Wer zum Beispiel mehrmals pro Jahr mit dem Flugzeug reist, wird stärker belastet. Das ist aber nur eine kleine Minderheit. Das Gesetz ist fair und sozial ausgestaltet. Zwei Drittel der Abgaben, die mit dem CO2-Gesetz erhoben werden, fliessen an die Bevölkerung zurück. Bei der Flugticketabgabe wird die Hälfte zurückerstattet. Die Rückerstattung erfolgt pro Person. Das heisst, Familien mit Kindern bekommen auch für jedes Kind Geld zurück.  Deshalb ist das Gesetz auch familienfreundlich.

Der Finanzplatz hat die grössten Auswirkungen auf den CO2-Ausstoss weltweit. Warum hat es keine griffige Massnahme dazu im Gesetz?

Der Finanzplatz ist tatsächlich zentral. Er steht gesellschaftlich und wirtschaftlich massiv unter Druck, sich zu bewegen. Man spricht bereits heute von Klimarisiken, wenn eine Bank oder eine Versicherung in veraltete Technologien investiert. Im Moment setzt das Gesetz noch auf Freiwilligkeit, aber wenn dies nicht zum Ziel führt, dann kommt eine Regulierung. Das unterstützt der Bundesrat.

Es wird eine Flugticketabgabe geschaffen, aber Flugbenzin ist von Steuern ausgenommen. Warum?

Wir müssen jetzt auf Lösungen setzen, die wir rasch umsetzen können. Dazu zählt die Flugticketabgabe. Für die Besteuerung von Kerosin wäre eine Verfassungsänderung nötig. Darum bin ich froh, dass sich die SP für die Flugticketabgabe eingesetzt hat. Eine unabhängige Studie hat gezeigt, dass zehn Prozent der Bevölkerung mit der Flugticketabgabe unter dem Strich mehr bezahlen. Der Rest hat wegen der Rückerstattung keine Mehrkosten zu befürchten. Ausserdem werden mit dem CO2-Gesetz auch die Nachtzüge unterstützt – mit Geld aus der Flugticketabgabe.

In Europa kann man anstelle des Flugzeugs den Zug nehmen. Doch Leute, die in Randregionen mit schlechtem ÖV leben, haben keine Wahl. Sie sind auf das Auto angewiesen.

Darum gibt es auf Benzin nach wie vor keine CO2-Abgabe. Mit dem CO2-Gesetz erhöht sich aber der Druck auf die Autobranche, effizientere Autos zu importieren. Davon profitiert nicht nur das Klima. Es profitieren auch jene, die auf das Auto angewiesen sind. Denn mit effizienteren Autos sinken die Ausgaben fürs Benzin.

Gewisse Randregionen, etwa Berggebiete, sind schon heute vom Klimawandel betroffen. Was ist da geplant?

Das Gesetz sieht für Randregionen eine Unterstützung vor, denn diese sind vom Klimawandel besonders betroffen. Das Parlament hat darauf geachtet, den Zusammenhalt in unserem Land zu stärken.

In Gebäudesanierungen steckt viel Klimapotenzial. Wer in einer Altbauwohnung wohnt, hat meist keinen Einfluss auf die Investitionen der Vermietung, bezahlt aber am Ende mehr.

Diese Angst ist unbegründet. Eine Studie hat gezeigt, dass klimafreundliche Sanierungen gerade bei älteren Gebäuden dazu führen können, dass die die Gesamtkosten für die Mieterschaft sinken. Mieterinnen und Mieter profitieren dann nämlich von deutlich tieferen Heizkosten. Grundsätzlich ist es so, dass Mieterinnen und Mieter von der Vorlage finanziell kaum betroffen sind. Das sagt auch der Mieterverband.

Woher soll der Strom kommen?

Unser Fraktionschef, Nationalrat Roger Nordmann, hat ein tolles Buch geschrieben, das ich nur empfehlen kann. Er zeigt darin auf, wie wir mit Sonnenenergie die AKW abstellen und die Heizung sowie die Mobilität elektrifizieren können. Wir wollen bei den einheimischen erneuerbaren Energien stärker werden. Das Potenzial der Sonne ist enorm. Wenn wir die geeigneten Dächer in der Schweiz nutzen, können wir doppelt so viel Strom produzieren wie alle AKW zusammen. Es gibt übrigens auch Schweizer Firmen, die Solarpanels herstellen. Und die Installation bedeutet Aufträge für KMU, für Elektriker, Installateure und Gebäudetechniker – alles Arbeitsplätze mit Zukunft.

Die Speicherbatterien für Elektroautos funktionieren nur mit Ressourcen, die unter teils ausbeuterischen Verhältnissen in Entwicklungsländern gefördert werden.

Als ehemalige Präsidentin der Entwicklungshilfeorganisation Swissaid bin ich für diese Thematik sehr sensibilisiert. Die Batterietechnologie muss sich weiter entwickeln, und sie macht grosse Fortschritte auch dank der Forschung in der Schweiz, die ganz vorne mit dabei ist. Die Produktion von Batterien wird ökologischer, und Batterien werden zunehmend wiederverwendet oder rezikliert. Übrigens: bei den Solarpanels gilt schon heute, dass 95 Prozent der Solarpanels rezikliert werden können.

Was passiert, wenn das Gesetz abgelehnt wird?

Wir würden klimapolitisch um Jahre zurückgeworfen – und wir würden die Chance verpassen, unsere Zukunft klimafreundlich zu gestalten. Wir brauchen deshalb dieses Gesetz, jetzt! Damit wir im 2050 klimaneutral sind, gibt es noch viel zu tun. Jetzt müssen wir die Weichen richtig stellen.

21. Mai 2021