Das Referendum gegen das neue Nachrichtendienstgesetz (NDG) sei ein Angriff auf die Sicherheit, argumentierte der abtretende CVP-Ständerat Paul Niederberger auf tagesanzeiger.ch. Abgesehen davon, dass die Unterschriftensammlung gegen ein neues Gesetz ein gutes Schweizerisches Recht ist, das es zu akzeptieren gilt, verkennt Niederberger damit die grossen Gefahren des NDG für Freiheit und Demokratie.
Nach den fürchterlichen Anschlägen von Paris rufen nicht wenige nach neuen, weitergehenden Überwachungsmöglichkeiten für den Staat. Vergessen wird dabei, dass die französischen Geheimdienste bereits heute über umfassende Schnüffelkompetenzen verfügen. Die Mehrheit der Attentäter waren, wie bei allen grösseren Anschlägen im Westen der letzten Jahre, dem Staatsschutz wohl bekannt. Trotzdem konnten die Terrorakte nicht verhindert werden. Der sprichwörtlich angehäufte Heuhaufen an Daten war viel zu gross, um die terroristische Stecknadel zu finden.
Die Ereignisse in Paris ermahnen uns einmal mehr, dass es absolute Sicherheit nicht gibt. Wohin uns aber die Ideologie der immer umfassenderen Schnüffelei der Geheimdienste bringen kann, lehrt uns die Geschichte. So verfügte die Stasi in der ehemaligen DDR auf ihrem Höhepunkt über fast 100'000 hauptamtliche Mitarbeitende und rund 200'000 inoffizielle Spione. Sie schuf damit ein Klima der Angst und des Misstrauens. «Kriminelles» Verhalten und ihren eigenen Untergang konnte sie damit nicht verhindern.
Auch moderne Geheimdienste können ihre Überwachungsbürokratie zwar massiv ausbauen und wie die britischen Geheimdienste 2005 zehntausende Videokameras in ganz London installieren und hunderttausende Telefonanrufe abhören. Anschläge, wie jenen auf die Londoner U-Bahn, können sie dennoch nicht abwenden.
Präventive Überwachung aller Bürgerinnen und Bürger, wie es das neue NDG vorsieht, birgt aber grosse Gefahren. Ohne Verdacht und ohne die Möglichkeit den Rechtsweg zu beschreiten, soll der Geheimdienst die Telefone, die Whatsapp-Nachrichten und E-Mails von uns allen überwachen können. Dies ist ein Paradigmenwechsel: Neu gilt nicht mehr die Unschuldsvermutung sondern die Schuldvermutung. Dieser Generalverdacht ohne Aussicht auf Erfolg ist ein Angriff auf die Freiheit. Er zerstört die Grundrechte, die über Jahrhunderte von den Untertanen gegen die Herrschenden erkämpft wurden, und die jeden und jede Kraft des Menschseins vor staatlicher Willkür schützen. Wie kann ich mich künftig wehren, wenn ich unschuldig ins Fadenkreuz des Geheimdienstes gerate? Gar nicht. Wir müssten es als festen Bestandteil unseres Alltags akzeptieren.
«Wer Sicherheit der Freiheit vorzieht, ist zu Recht ein Sklave», formulierte Aristoteles. Wer die Erkenntnis teilt, dass es absolute Sicherheit nicht gibt und niemals geben wird, muss sich an den Gedanken gewöhnen, dem Terror auf andere Art und Weise zu begegnen; muss sich fragen, wo die Ursachen des Terrors liegen und wie man ihn bekämpfen kann. Es ist leider kein Zufall, dass mit Frankreich ein Land in den Fokus des IS rückte, das Kriegspartei in Syrien ist und das es über Jahrzehnte verschlafen hat, einer ganzen Einwanderer-Generation eine Perspektive zu bieten.
Was also hilft gegen den Terrorismus? Das weiss wohl niemand genau. Was aber sicher nicht hilft, ist die Verletzung demokratischer Prinzipien. «Demokratie ist etwas für Ungläubige», antwortete ein junger IS-Kämpfer auf die Frage des deutschen Nachrichtenmagazins «Der Spiegel». Die Terroristen hassen unsere Demokratie, sie hassen unsere Freiheit und die Menschenrechte. Wenn wir jetzt, wie mancherorts gefordert, diese Werte für vermeintlich mehr Sicherheit über Bord werfen, machen wir uns zu Erfüllungsgehilfen der Terroristen.
Text erschienen im Politblog auf tagesanzeiger.ch