Als ehemaliger «Tagesschau»-Reporter bin ich es gewohnt, die Welt in fernsehtaugliche «Zweiminutenstücke» aufzuteilen. Wer einen solchen Videobeitrag verschriftlicht, erhält rund 1000 Zeichen, exklusive Interviews mit Dritten und Textteilen. Um meinen Standpunkt zur CVP-Familieninitiative zu erläutern, erhielt ich von der NZZ 5800 Zeichen. Darüber bin ich sehr froh. Froh deshalb, weil die Erklärung, weshalb sich die Familienpartei SP gegen eine Familieninitiative ausspricht, den Rahmen eines «Zweiminüters» sprengen würde. Ja, es ist kompliziert.

Verlockend klingt die Initiative «Familien stärken! Steuerfreie Kinder- und Ausbildungszulagen». Es wird doch niemand etwas gegen die finanzielle Besserstellung von Familien haben. Oder doch? Zwei Fragen lassen erahnen, dass die Initiative einen Pferdefuss hat. Erstens: Welche Familien sollen entlastet werden? Zweitens: Auf wessen Kosten soll dies geschehen?

Die erste Frage möchte ich mit einem Zahlenbeispiel beantworten: Eine Familie mit zwei Kindern (14 und 17 Jahre), die in der Stadt Zürich lebt und ein steuerbares Einkommen von 20 000 Franken hat, würde jährlich um 243 Franken entlastet. Hätte dieselbe Familie plötzlich ein Einkommen von 100 000 Franken, dann müsste sie bei Annahme der CVP-Familieninitiative schon 1222 Franken weniger Steuern bezahlen.

Verdiente die gleiche Familie stattliche 250 000 Franken im Jahr, könnte sie gar 2009 Franken Steuern sparen. Gar nicht profitieren würde von der «Familieninitiative» die ärmste Familie mit einem steuerbaren Einkommen von rund 10 000 Franken. Der Unterschied der Einsparungen zwischen reichen und weniger reichen Familien wäre bei einer Annahme der Initiative in andern Kantonen noch grösser. Im Kanton Neuenburg würden die Eltern mit dem hohen Einkommen von 250 000 Franken zehnmal mehr profitieren als jene mit dem kleinen steuerbaren Einkommen von 20 000 Franken.

Die CVP-Familieninitiative entlastet also primär die reichen Familien. Ärmere Familien, die finanziell wirklich am Limit sind, haben wenig bis gar nichts davon. Dies ist der Hauptgrund, weshalb die Sozialdemokratische Partei der Schweiz die Initiative zur Ablehnung empfiehlt. Man könnte nun argumentieren, dass trotz dieser Ungerechtigkeit ja fast alle Familien weniger Steuern bezahlen würden und dies besser sei als gar keine Entlastung. Mit andern Worten, lieber den Spatz in der Hand halten, als auf die Taube auf dem Dach zu fokussieren.

Eine gerechte Familienentlastung wäre bei einer Annahme der CVP-Familieninitiative vom Tisch – für Jahrzehnte. 

Davor möchte ich eindringlich warnen. Eine gerechte Familienentlastung wäre bei einer Annahme der CVP-Familieninitiative vom Tisch – für Jahrzehnte. Das wäre verheerend, denn es gibt gerechtere Systeme, um Familien zu entlasten. Die SP schlägt vor, anstelle der Reduktion von steuerbarem Einkommen den Familien pro Kind eine Gutschrift zu entrichten, unabhängig von Einkommen und gewähltem Familienmodell. Die Höhe dieser Gutschrift wäre von den Kantonen festzulegen. Diese Gutschriften hätten den Vorteil, dass auch Einzelhaushalte und Familien mit geringem Einkommen entlastet würden. Eine Gutschrift von sagen wir einmal 2000 Franken pro Kind und Jahr käme also auch dem unteren Mittelstand und den ärmeren Familien sowie den Alleinerziehenden zugute. Kommt hinzu, dass wir die Gutschrift als Ersatz der bisherigen Kinderabzüge bei den Steuern vorschlagen. Diese Art von Familienunterstützung wäre im Gegensatz zur CVP-Familieninitiative also mehr oder weniger kostenneutral.

Dass die SP eine solche Umverteilung von unten nach oben nicht unterstützt, liegt auf der Hand. Somit komme ich zur Beantwortung der zweiten Frage: Auf wessen Kosten sollen die Familien entlastet werden? Gemäss Botschaft des Bundesrates hätte die CVP-Familieninitiative für Bund und Kantone Mindereinnahmen von rund 1 Milliarde Franken zur Folge. Allein der Kanton Zürich würde 115 Millionen Franken Kantons- und Gemeindesteuern verlieren. Insgesamt müssten die Kantone und Gemeinden mit einem Minus von jährlich 767 Millionen Franken rechnen, und dies nicht erst in ein paar Jahren, sondern gemäss Botschaft des Bundesrates direkt nach der Volksabstimmung. Ein Ja würde also bereits den Rahmen der Budgets 2015 sprengen.

Auch in den Finanzplänen der Kantone sind keine Mindereinnahmen in jährlich dreistelliger Millionenhöhe vorgesehen. Das heisst, dass in Zeiten leerer Kantonskassen die Sparschraube weiter angezogen werden müsste. Bereits in den vergangenen Jahren ist in vielen Kantonen bei der Bildung, der medizinischen Versorgung, aber auch bei Prämienverbilligungen oder familienergänzenden Betreuungsangeboten gespart worden.

Leidtragende der Sparmassnahmen wären also genau jene Familien, welche die CVP zu entlasten vorgibt.

Solche Sparmassnahmen treffen vor allem Leute und Familien mit kleinen und mittleren Einkommen. Leidtragende wären also genau jene Familien, welche die CVP zu entlasten vorgibt. Die Initiative hätte also eine doppelte Umverteilung von unten nach oben zur Folge.

Genaues Hinsehen lohnt sich bei dieser undurchsichtigen Vorlage. Denn auf den zweiten Blick zeigt sich, dass die Möglichkeit für eine gerechtere Entlastung von Familien bei einer Annahme verbaut wird. Weitsichtig haben in diesem Fall auch National- und Ständerat entschieden. Der Nationalrat lehnt die Initiative mit 131 zu 39 Stimmen ab. Der Ständerat sprach sich mit 32 zu 13 Stimmen ebenso deutlich gegen die CVP-Familieninitiative aus. Auch der Bundesrat empfiehlt die Initiative zur Ablehnung. Ich hoffe, dass sich auch die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger Zeit nehmen und etwas genauer hinschauen. Denn der Titel alleine tönt verlockend. Aber eben, um die negativen Auswirkungen dieser Initiative überblicken zu können, muss man die Welt des «Zweiminüters» kurz verlassen.

05. Feb 2015