Die Weihnachtszeit ist vorbei, das neue Jahr schon einige Tage alt und die Fasnachtschüechli und Schoggihasen haben die Weihnachtsguetzli in den Verkaufsregalen bereits abgelöst. Meine Geschichte beginnt im Oktober des letzten Jahres. Auf Höhe der neugierigen Kinderaugen türmen sich mehr Spielsachen und Süssigkeiten als üblich. Mütter, Väter, Grosseltern und weitere Erziehungspersonen ziehen mit den Kindern im Schlepptau möglichst rasch an den Regalen vorbei. Den einen gelingt dies besser, den anderen weniger gut. Die Kinder kommen während Wochen nicht mehr aus dem Staunen heraus. Was es da alles zu kaufen gibt! Eine unglaubliche Auswahl.

Das Angebot ist nicht für alle 
Doch es gibt auch eine andere Seite, die mit diesem schillernden Angebot Hand in Hand geht. Viele Menschen in der Schweiz müssen nicht darüber nachdenken, ob ein Produkt gebraucht wird oder wie viel es kostet. Familien, die aus finanziell guten Verhältnissen kommen, haben mit den Verkaufsauslagen, den Werbezeitschriften und -sendungen keine grosse Mühe. Ideologische Differenzen werden in bildungsnahen Familien diskutiert und erklärt. Es gibt aber auch andere Familien: solche mit weniger Geld, die tendenziell schlecht ausgebildet sind, aus einer sozial tieferen Schicht. Doch auch ihre Kinder wünschen sich tolle Spielsachen, halt alles was sie sehen und ihnen vor die Nase gestellt wird. Doch wie erklärt man es diesen Kindern?

Armut hat verschiedene Gesichter 
Zuerst ein Abstecher in das Thema Armut in der Schweiz. Armut in der Schweiz bedeutet nicht dasselbe, wie Armut in Schwellenländern. Das Verständnis von Armut ist stets auch von unseren Werthaltungen abhängig. Natürlich – es gibt eine „absolute“ Armut – also eine Form von Armut, die gewissermassen von allen Menschen als solche anerkannt wird. Als absolut arm können also Menschen gelten, die um ihr Überleben kämpfen müssen, da ihr tägliches Einkommen nicht reicht, um sich zu ernähren, zu kleiden und ein Dach über dem Kopf zu haben. Aber ist Armut einzig eine Frage des Geldes? Oder müssen zusätzlich die nichtmateriellen Aspekte der Lebenssituation eines Menschen umfassend gewürdigt werden? Haushalte mit Kindern, insbesondere Einelternfamilien und kinderreiche Familien, haben gemäss dem Bundesamt für Statistik BFS ein besonders hohes Armutsrisiko und sind stärker vom Phänomen der «Working Poor» betroffen. Lag die Armutsquote 2010 in der Schweiz im Durchschnitt bei 7,9%, war sie bei Einelternfamilien mit 25,9% mehr als dreimal höher. Eine überdurchschnittliche Armutsgefährdung weisen auch Personen in Haushalten mit zwei Erwachsenen und drei oder mehr Kindern auf (21,2%).

Kleine Geste, grosse Wirkung 
Nun zurück zu den Weihnachtsgeschenken. Ich habe das Glück, als Wettinger Gemeinderätin der Familie Bernhard Fluck-Stiftung vorzustehen, die jährlich einen so genannten «Weihnachtsbatzen» verteilt. Da das zur Verfügung stehende Geld nicht für alle ärmeren und armen Familien in Wettingen reicht, erhalten Familien und Einzelpersonen, die materielle Sozialhilfe bekommen, in einer Pflegeinstitution leben oder in irgendeiner Weise mit den Sozialen Diensten zu tun haben, ein kleines Weihnachtsgeld. Die Beträge, die wir aussprechen können, sind klein. 50, 70 oder 90 Franken, je nach Alter und Familienkonstellation. Kleine Beträge hin oder her: die Freude darüber ist gross, das zeigen die vielen Dankesschreiben, die ich alljährlich erhalte. Auch kleine Beträge bedeuten einen «Zustupf» an einen Ausflug in den Zoo oder die Möglichkeit, ein Buch oder einen Skianzug aus der Börse zu kaufen. „Liebe Fluck-Stiftung, ich bedanke mich für das grosse Weihnachtsgeschenk“, „Liebe Stiftung, endlich kann ich meinem Mami ein Geschenk machen“, „Liebe Frau Feri, ich konnte meine Kinder mit dem Geld ins Kino einladen, herzlichen Dank“. Das nur eine kleine Auswahl von zahlreichen rührenden Karten.

Es lohnt sich, die weniger bemittelten Familien und Einzelpersonen mit solchen Aktionen zu unterstützen. Die Dankbarkeit ist riesig. Schlussendlich muss das Armutsproblem aber an der Wurzel gepackt werden. Der Bundesrat hat in seiner Strategie zur Armutsbekämpfung im Vorgehen gegen die Familienarmut drei Arbeitsfelder definiert, die besonders bearbeitet werden müssen:

  • Armutsprävention: Um die Armutsgefährdung langfristig und nachhaltig zu minimieren, sind die Bildungschancen und Chancengerechtigkeit zu fördern.
  • Armutsbekämpfung über Aktivierung: Indem Armutsgefährdete und von Armut betroffene Personen in ihren eigenen Ressourcen gestärkt werden, sollen sie darin unterstützt werden, finanzielle Eigenständigkeit zu erreichen und zu bewahren.
  • Systemoptimierungen: Mit diversen Massnahmen, beispielsweise durch verbesserte Beratung, sollen die Bedarfsleistungen optimiert werden.

Ich fordere den Bundesrat dazu auf, Familienarmut nicht nur als reales Problem anzuerkennen, sondern dieses aktiv in Form von konkreten Projekten zu bekämpfen und in den drei formulierten Bereichen aktiv zu werden. Als weitere Massnahme zur Bekämpfung von Familienarmut schlagen die SP Frauen Ergänzungsleistungen für Familien vor. Die SP Frauen erachtet die Ergänzungsleistungen als eine der besten Möglichkeiten, der Armut entgegenzutreten. Das Ziel dabei muss sein, dass Erwerbsanreize geschaffen werden und die Vereinbarkeit von sozialem Leben, Familie und Erwerbsleben gefördert wird. Unserer Ansicht nach ist dies der richtige Weg aus der Armut hinaus – sei es nun um genug Geld zu haben für Weihnachtsgeschenke, oder aber auch nur um anderweitig in der Gesellschaft mithalten zu können.

16. Jan 2013