Wer mit einem vollen Pensum arbeitet, soll anständig davon leben können. Alles andere ist demotivierend und kontraproduktiv. Wenn wir akzeptieren, dass Firmen keine existenzsichernden Löhne zahlen, setzen wir ganz klar falsche Zeichen und Fehlanreize für die Wirtschaft. Wenn wir es zulassen, dass ganze Gruppen von Erwerbstätigen ergänzend zum Lohneinkommen Sozialhilfe beanspruchen müssen und Angebote wie Caritas-Läden nötig sind, damit Menschen recht leben können, dann läuft einiges falsch in der reichen Schweiz.

Bitterkalt sind nicht nur die Temperaturen draussen – bitterkalt sind die auch Tieflohnrealitäten und bisweilen die Antworten von Arbeitgebern auf die Forderung nach einem höheren Lohn. Sie und ich haben dies nicht selber erlebt, aber wie ist die Atmosphäre, wenn man den Chef um einen höheren Lohn bittet, weil man zu wenig zum Leben hat und einen dieser schnurstracks aufs Sozialamt schickt? Bitterkalte Tieflohnrealität – so geschehen in Rüthi im Rheintal in einer den Gewerkschaften bekannten Verpackungsfirma, die Angestellte mit einem Stundenlohn von 14.50 Franken abspeist. Das ist zynisch und skandalös.

Im Kontakt mit den Leuten erfährt man viel und je mehr man mit ihnen spricht, desto mehr skandalöse und schockierende Tieflöhne kommen an die Oberfläche: Beim Unterschriftensammeln in der Fussgängerzone in Wil hat mir eine jüngere Frau erzählt, dass sie für weniger als 18 Franken in der Stunde in einem DVD-Shop arbeitet und damit kaum über die Runden kommt.

Kaum glauben konnte ich, welch mickrige Tiefstlöhne in der Verpackungsbranche gezahlt werden: Die Gemüsefirma Chicorée in Marbach SG bot für die Gemüseernte Arbeitslosen einen Job für sage und schreibe 12.50 Franken in der Stunde an. Leben kann man mit so einem Lohn nicht – höchstens überleben.

Und der frische Kaffeeduft verfliegt im Nu, wenn man sich die Löhne der Schichtarbeiterinnen in der Produktion von Jura-Kaffeemaschinenteilen in den Fabriken der Aquis am Walensee oder der Eugster/Frismag in Amriswil vor Augen führt – für Stundenlöhne zwischen 14 und 17 Franken rackern sie sich ab und müssen Haushalt und Familie auch noch irgendwie unter einen Hut bringen. 

Die Liste ist noch viel länger und wir haben von anderen RednerInnen andere krasse Beispiele gehört. Viele der Betroffenen in den Tieflohnbranchen sind Frauen, viele arbeiten auch Teilzeit. Eindrücklich hat uns Max Chopard aufgezeigt, wie Tieflöhne auch zu tieferen Renten führen. Bitterkalte Realitäten in der Schweiz.  

Mindestlöhne sind nötig. Dank Mindestlöhnen wird Arbeit fair und gut entschädigt. 

Doch: Mindestlöhne sind auch eine wirksame und notwendige Massnahme gegen Lohndumping. Denn nur so sind klare Vorgaben vorhanden, welche kontrolliert und bei Verstössen geahndet werden können. Das ist heute schwierig, weil nur rund die Hälfte der Arbeitnehmenden einem GAV unterstellt ist und längst nicht in allen GAVs Mindestlöhne festgeschrieben sind. Zudem machen die Kantone viel zu wenig von der Möglichkeit Gebrauch, mit Normalarbeitsverträgen Mindestlöhne festzuschreiben. Fortschritte wurden zwar gemacht – beispielsweise die Mindestlöhne im neuen GAV der MEM-Industrie –, doch auch das ist nur durch den Druck der hängigen Mindestlohn-Initiative geschehen. Trotzdem: Es schleckt keine Geiss weg, dass wir eine gesamtschweizerische und verbindliche Regelung brauchen, damit im ganzen Land und in allen Branchen anständige Löhne bezahlt werden, von denen man leben kann.

Die Wirtschaft muss ein Interesse haben, dass mit Mindestlöhnen das Lohnniveau gesichert wird. Denn Lohndumping schadet dem Arbeitsmarkt. Keine Firma kann ein Interesse daran haben, dass ein Konkurrent die Preise nach unten drückt, weil er sein Personal schlecht bezahlt. Darum nützen Mindestlöhne den Firmen, ihr Lohnniveau zu halten – gerade diejenigen, die „rechte Löhne“ bezahlen, müssten doch alles daran setzen, dass die anderen das auch tun. Ohne Druck passiert das leider nicht.

Mindestlöhne nützen den Arbeitnehmenden und der Wirtschaft: sagen Sie darum Ja zur Initiative für faire Löhne.

28. Nov 2013